<Überformte Kulturgeschichte>
Hajo Schiff, Kunstkritiker
Venedig ist schön. Deshalb gibt es auch immer wieder Bilder aus dieser besonderen Stadt. Der Koreanische Künstler Jaerok Jang malt seine großformatigen Ansichten von dort in traditioneller asiatischer Tusch-Technik auf besonderes, handwerklich erstelltes „Beajeob“-Reis-Papier. Das sieht von weitem so aus, wie Fotorealismus auf Leinwand. Aber das ist technisch und inhaltlich nicht zutreffend. Genau wie bei den Bildern von anderen Städten, von New York, Hamburg oder Hong Kong, sind in die Wiedergabe Seltsamkeiten eingebaut: Ein geschwungenes Tempeldach, eine steinerne Palastlaterne, oder auch ein traditionelles Holzfenster. Doch diese Irritationen sind weder reale Werbe-Alltäglichkeiten, noch hinzugefügte visuelle Scherze, sie spüren den tatsächlichen oder untergründigen Verbindungen der westlichen Welt mit Asien nach. Warum sollten in der Stadt Marco Polos, deren Bars inzwischen oft in chinesischer Hand sind, nicht auch asiatische Architekturelemente auftreten? Und waren in Hamburg die realen, um 1912 entstandenen Stein-Kandelaber am U-Bahn-Eingang „Rathaus“ nicht schon damals asiatischen Formen nachempfunden? Klar auch, dass der britische Kolonialstil in Asien nicht so Englisch ist, wie er heute empfunden wird, und dass die urbanen Zentren in Ost und West im ökonomischen und kulturellen Austausch immer ähnlicher werden. Eurasien ist besonders im Blick Jaerok Jangs mehr als nur ein geographischer Begriff.
Der in Seoul lebende, 1976 geborene Jaerok Jang ist nicht nur ein an Kulturmischungen interessierter Maler, konzeptuelle Skulpturen und performative Aktionen gehören ebenso zu seinem bereits in Korea, China, Japan und Europa gezeigten Repertoire. Bei „Future Archeology“ hat er 2012 einen blitzenden BMW-Motor in einen Betonwürfel eingießen und durch ein Archäologen-Team mit großer Sorgfalt teilweise wieder freilegen lassen. Auch die eigene nationale Kultur hat er in einem jahrelang geplanten und monatelang ausgeführten Objekt dekonstruiert: Für „Spirit“ (2014) hat Jaerok Jang sieben höchst angesehene traditionelle Handwerker dazu überredet, für ihn mit maximalem Aufwand einen kostbaren, gleichwohl sinnlosen Schrein zu bauen. So ist mit viel Respekt vor den alten Fähigkeiten der als „nationale Kulturschätze“ gelisteten Zunft-Meister ein silberbeschlagener Lackkasten entstanden, auf den respektlos brutal die geradezu kultisch hergestellten Tuschblöcke aufgeschraubt wurden: Einerseits ein Multi-Meisterstück, ein koreanischer Hyper-Schatzkasten der Tradition, andererseits eine Manifestation kultureller Brüche und veränderter Wertschätzungen in einer Welt, in der sich kulturelle Zeichen von ihren ehemaligen Inhalten zu bloßen Bildmarkierungen verflacht haben. Dies in Ost und West zu thematisieren, macht die Kunst von Jaerok Jang bedeutend.